Stabile Angina pectoris
Einleitung
Unter dem Begriff «Stabile Angina pectoris» wird die chronische koronare Herzkrankheit (KHK) verstanden, d.h. alle Situationen ausserhalb des akuten Koronarsyndroms (ACS). Neu wurde der Begriff «Chronisches Koronarsyndrom» geprägt (ESC Leitlinien 2019), der synonym verwendet wird und auf die potentiell dynamische Komponente der Koronaren Herzkrankheit auch im chronischen Stadium hinweisen soll.
Therapie-Prinzip
Es werden zwei Ziele verfolgt:
- Verbesserung der Prognose durch Prävention von Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz und Tod
- Reduktion der Symptome bzw. Verbesserung der Lebensqualität
Diese Ziele werden erreicht durch allgemeine nicht-medikamentöse Massnahmen, eine individualisierte medikamentöse Therapie sowie Revaskularisationseingriffe bei selektionierten Patienten. Voraussetzungen für eine angemessene Therapie sind eine adäquate Diagnostik und Risikostratifizierung mittels nicht-invasiver Methoden (siehe Kapitel «Nicht-invasive Diagnostik bei KHK» Seite) und meist Koronarangiografie.
Die Angriffspunkte der medikamentösen Therapie betreffen:
- Koronaratherosklerose: Verhinderung einer Progression bzw. eine Regression der Plaquelast und eine Plaque-Stabilisierung.
- «Umbauprozesse» des linken Ventrikels nach Infarkt (Remodeling): Verhinderung einer Progression einer linksventrikulären Dysfunktion und die Entwicklung einer Herzinsuffizienz.
- Myokardiale Ischämie: Reduktion von ischämischen Symptomen
Substanzen, die auf Ebene der Koronaratherosklerose und des Remodelings wirken und somit die Biologie des Krankheitsprozesses direkt beeinflussen, haben in der Regel einen prognostischen Nutzen, während dies für die antiischämisch wirksamen Medikamente nicht gilt (Ausnahme: Betablocker bei Postinfarkt-Patienten sowohl mit antiischämischer als auch Anti-Remodeling-Wirkung).
Die interventionelle (percutaneous coronary intervention; PCI) oder chirurgische (aortokoronarer Bypass) Revaskularisation stellt eine rein mechanische Therapie dar und benötigt ergänzend immer Lebensstilanpassungen (regelmässige körperliche Aktivität, Gewichtsreduktion, gesunde Ernährung, Nikotinabstinenz) und eine medikamentöse Behandlung. Revaskularisationseingriffe sind sehr effektiv zur Linderung der Symptomatik, haben aber nur in bestimmten Konstellationen einen prognostischen Effekt.
Medikamentöse Therapie
Substanzen, welche die Koronaratherosklerose beeinflussen
Thrombozytenaggregationshemmer und orale Antikoagulation
- Aspirin 100 mg/Tag für alle Patienten mit KHK, bei Aspirin-Allergie Desensibilisierung in Erwägung ziehen
- Zusätzlich Clopidogrel (Plavix) 75 mg/Tag für 6 Monate nach PCI (Dauer in bestimmten Fällen weniger lang, muss in jedem Fall vom Interventionalisten genau festgelegt sein) und eventuell nach aortokoronarer Bypass-Operation. Bei stabiler KHK noch nicht genügend Daten zu Prasugrel und Ticagrelor; deshalb nur bei Kontraindikation für Clopidogrel einsetzen. Bei erhöhtem gastrointestinalem Blutungsrisiko Einsatz eines PPI, in erster Linie Pantoprazol (Pantozol) empfohlen.
- Bei hohem Ischämie- und vertretbarem Blutungsrisiko (PRECISE-DAPT-Score) kommt ein Jahr nach akutem Koronarsyndrom die Fortführung einer dualen Thrombozytenaggregationshemmung mit Aspirin + niederig dosiert Ticagrelor (Brilique, 2×60 mg) in Frage.
- Orale Antikoagulation: Falls eine Indikation für eine orale Antikoagulation besteht (Vorhofflimmern, mechanische Klappenprothese, St. n. Lungenembolie u.a.), ist die orale Antikoagulation ohne Aspirin oft ausreichend; bei Risikopatienten mit stabiler KHK (insbesondere St. n. Stent) ist die Kombination orale Antikoagulation + Aspirin 100 mg/Tag zu erwägen. Die Datenlage ist diesbezüglich aber unklar; Vorgehen muss immer individuell (thrombotisches Risiko vs. Blutungsrisiko) diskutiert werden. Nach PCI wird die Dauer einer Triple Therapie (orale Antikoagulation kombiniert mit Aspirin und Clopidogrel) bzw. die Dauer der anschliessenden dualen Therapie (orale Antikoagulation kombiniert mit Clopidogrel) in Abhängigkeit vom thromboembolischen Risiko und vom Blutungsrisiko individuell festgelegt (Triple Therapie in der Regel ein Monat, maximal 6 Monate, dies aber nur in Ausnahmefällen) siehe Kapitel ACS Seite.
- Nicht-Vitamin K-Antagonisten-orale Antikoagulantien (NOAKs): Triple Therapie mit Aspirin und Clopidogrel nach PCI möglich (Dauer analog wie bei Vitamin K-Antagonisten, NOAK in der zur Verhinderung der Thromboembolie wirksamen Dosierung, festgelegt durch den Interventionalisten).
- Für Hochrisikopatienten kommt ausserhalb des Setting des akuten Koronarsyndroms eine Kombination aus Aspirin mit niedrig dosiertem Rivaroxaban (Xarelto, 2×2.5 mg) in Frage.
Lipid-modifizierende Therapie und SGLT-2-Hemmer
- Grundsätzlich immer bei KHK, auch bei Cholesterinwerten im Ziel-Bereich (→ tiefe Dosis eines gut verträglichen Präparats)
- Primär Statine mit Ziel-LDL-Cholesterin < 1.4 mmol/l bzw. Halbierung des Ausgangswertes
- Zusätzlich Ezetimibe (Ezetrol) 10 mg möglich, senkt das LDL-Cholesterin zusätzlich und bringt zusätzlichen prognostischen Nutzen
- PCSK-9-Hemmer bei selektionierten Patienten
- → Siehe «Dyslipidämien – Medikamentöse Therapie» Seite
- Für alle Diabetiker zusätzlich SGLT-2-Hemmer siehe «Diabetes» Seite
Substanzen, die das linksventrikuläre Remodeling beeinflussen
-
- Nach durchgemachtem Herzinfarkt und eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion (left ventricular ejection fraction; LVEF < 40%) Betablocker und ACE-Hemmer; bei ACE-Hemmer Unverträglichkeit: Angiotensin-Rezeptor-Blocker
- Zusätzlich Eplerenon bei LVEF < 40% 3–14 Tage nach Myokardinfarkt und guter Background-Therapie (ACE-Hemmer und Betablocker); später nach Infarkt: LVEF < 35% + NYHA II → Eplerenon (Inspra), LVEF < 35% + NYHA ≥ III → Spironolacton (für weitere Details bezüglich Therapie der manifesten Herzinsuffizienz: siehe Kapitel «Herzinsuffizienz» Seite)
- Nach durchgemachtem Herzinfarkt und eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion (left ventricular ejection fraction; LVEF < 40%) Betablocker und ACE-Hemmer; bei ACE-Hemmer Unverträglichkeit: Angiotensin-Rezeptor-Blocker
- ACE-Hemmer auch ohne früheren Infarkt, falls nicht low risk (siehe nachfolgende Tab.), insb. bei arterieller Hypertonie, aber nur lipophile ACE-Hemmer (Perindopril, Ramipril), da nur bei diesen Substanzen primär ein Effekt auf die Atherosklerose vermutet wird.
Medikamente mit günstigem Einfluss auf das linksventrikuläre Remodeling nach Myokardinfarkt
Medikament und Dosis | Indikation | Kommentar |
ACE-Hemmer
|
|
|
ARB
|
Alternative zu ACE-Hemmer bei ACE-Hemmer-Intoleranz |
|
Medikament und Dosis | Indikation | Kommentar |
Eplerenon: 25–50 mg | Früh (3-14 Tage) nach Myokardinfarkt und bei Vorliegen all der folgenden Bedingungen:
|
|
Betablocker
|
|
|
Antiischämische Therapie
Prinzip
Das Auftreten einer myokardialen Ischämie hängt von der Balance zwischen Sauerstoffzufuhr und -bedarf ab. Im Falle einer signifikanten Stenose ist die Zufuhr bzw. die Zufuhrreserve reduziert, sodass es bei einem Anstieg des Bedarfs im Rahmen körperlicher Belastung zu einer Ischämie kommt. Folgende Faktoren bestimmen den Sauerstoffbedarf des linken Ventrikels:
- Kontraktilität
- Herzfrequenz
- Wandspannung
Grundsätze der Behandlung
- Individualisierte Therapie
- Verschiedene Kombinationen möglich; Auswahl gemäss Wirkung und Nebenwirkungsprofil (siehe nachfolgende Tabelle)
- Die primäre Basistherapie besteht aus Betablocker und/oder Kalziumkanalblocker, wobei sich die Auswahl des Kalziumkanalblockers nach der Herzfrequenz richtet.
- Die Dosierung der einzelnen antianginösen Substanz sollte vor Ergänzung durch ein zweites Medikament zuerst nach oben titriert werden.
- Persistierende Beschwerden trotz antianginöser Zweiertherapie
können in der Regel durch den Zusatz einer dritten antianginösen Substanz nur noch wenig beeinflusst werden. Diese Patienten profitieren in der Regel von einer kathetertechnischen oder chirurgischen Revaskularisation, falls eine solche möglich ist.
Antiischämische Medikamente
Medikament und Dosis | Indikation | Kommentar |
Betablocker
|
First-line Antianginosum |
|
Kalziumkanalblocker
|
|
|
Kurz wirksame Nitrate
Lang wirksame Nitrate
|
Behandlung des akuten Anfalls
Dauertherapie, Kombination mit anderen Antianginosa |
|
Molsidomin: Retardierte Form, 2–3× 4 mg bis 2× 8 mg |
|
|
Nicorandil: 2× 10–20 mg |
Add-on-Therapie, kann mit Nitraten und Molsidomin kombiniert werden |
|
Ranolazin: 2× 375–750 mg |
Add-on-Therapie zu Betablocker (Cave: Sotalol wegen Interaktion), Amlodipin (Cave: Diltiazem, Verapamil wegen Interaktion), Nitraten |
|
Ivabradin: 2× 2.5–7.5 mg |
Patienten im Sinusrhythmus, die Betablocker nicht tolerieren, bei denen Betablocker kontraindiziert sind oder bei denen Betablocker die Herzfrequenz ungenügend senken. Kann auch bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit eingeschränkter LVEF eingesetzt werden
Vorsicht bei Patienten mit schwerer Angina (CCS 3): in dieser Situation Ausbau Betablockade und/oder Revaskularsation prüfen |
|
Invasive Therapie
Eine invasive Abklärung ist bei V. a. KHK und unbekanntem Koronarstatus in den meisten Fällen sinnvoll. Eine Revaskularisation muss bei Hinweisen auf eine mittelgrosse oder grosse myokardiale Ischämie (Revaskularisation aus prognostischen Gründen) und/oder bei fehlendem Ansprechen der Symptomatik auf eine medikamentöse antiischämische Therapie (symptomatische Indikation) erwogen werden. Indikationen für eine Koronarangiografie bzw. PCI oder Bypass-Operation (falls Koronarstatus schon bekannt) können mit dem Dienstarzt Kardiologie und den interventionell tätigen Kaderärzten intern besprochen werden. Anmeldungen für elektive Untersuchungen von extern sind an die ärztliche Leitung der Klinik für Kardiologie zu richten.
Device-Therapie der therapierefraktären Angina bei Patienten ohne Revaskularisationsoptionen
Diese Therapien (Rückenmarksstimulation, Koronarsinus-Stent) sind noch in Entwicklung und nur in ausgewählten Einzelfällen eine Option.
PD Dr. Micha Maeder
Prof. Dr. Hans Rickli