Nicht-invasive Diagnostik bei Koronarer Herzkrankheit (KHK)

Einleitung

Die Koronarangiografie ist in der Diagnostik der Koronaren Herzkrankheit (KHK) der Gold-Standard. Daneben gibt es mehrere etablierte, nicht-invasive Untersuchungsmethoden. Funktionelle Verfahren, wie die Fahrrad-Ergometrie, die Stress-Echokardiografie bzw. das Stress-MRI und die Myokardperfusionsszintigrafie, können zur Beurteilung der hämodynamischen Relevanz einer KHK eingesetzt werden. Morphologische Verfahren, wie die Koronar-CT-Angiografie stellen die Koronaranatomie dar.

Diagnostisches Vorgehen

Asymptomatische Patienten

Ziel der Risikostratifizierung bei asymptomatischen Individuen ist die Abschätzung des Langzeitrisikos für die Manifestation einer KHK und darauf basierend die Anwendung primärprophylaktischer Massnahmen. Anhand der Anamnese und des AGLA-Risiko-Score lässt sich das kardiovaskuläre Gesamtrisiko für die nächsten 10 Jahre berechnen (siehe Kapitel Dyslipidämie «Risikostratifizierung» Seite oder www.agla.ch).

Bei Patienten mit hohem Risiko (10-Jahres-Risiko > 20%) sollte neben der Therapie der Risikofaktoren gemäss Kriterien der Sekundärprophylaxe aus prognostischen Gründen eine kardiologische Abklärung durchgeführt werden.

Symptomatische Patienten

Die Koronare Herzkrankheit (KHK) ist definiert als die Manifestation einer Arteriosklerose an den Herzkranzarterien. Abhängig vom Missverhältnis zwischen myokardialem Sauerstoffbedarf und -Angebot resultiert daraus eine kardiale Ischämie.


Manifestationsformen

  • a) Akutes Koronarsyndrom (vgl. Kapitel ACS Seite)
  • b) Chronisches Koronarsyndrom (vgl. Kapitel Stabile AP Seite): Die 2019 veröffentlichten ESC-Richtlinien CCS wechseln in der Terminologie und mit Fokus auf das chronische Koronarsyndrom (Chronic coronary syndrome[s], CCS) anstelle der stabilen KHK und will damit klarer die Kategorien ACS versus CCS als klinische Präsentation der KHK betonen.

Symptome und klinische Befunde

Die typische Angina pectoris ist nach ESC-Richtlinien definiert als die Summe der 3 Charakteristika:

  • Retrosternaler Thoraxschmerz (druckartig, Enge) und Dauer (≤ 10 min), ev. mit Ausstrahlung linker Arm/Schulter, Hals/Kiefer
  • Hervorgerufen durch körperliche Anstrengung oder emotionale Belastung, verstärkt bei Kälte
  • Bessert durch Ruhe und/oder Nitrate innerhalb von Minuten.

Neu wird in den ESC-Richtlinien CCS 2019 die (Belastungs-)Dyspnoe als Angina-Äquivalent berücksichtigt. Nur ca. 10–15% präsentieren sich mit einer typischen, alle 3 der genannten Punkte umfassenden AP. V. a. bei älteren Patienten, häufiger auch bei Frauen und Diabetikern ist die Symptomatik oft atypisch (2 Punkte).


Abklärungsstrategie bei symptomatischen Patienten mit vermuteter Koronarer Herzerkrankung (KHK) anhand der Vortestwahrscheinlichkeit (VTW) und der klinischen Wahrscheinlichkeit (KW)

Die Einschätzung der VTW für eine stenosierende KHK anhand einfacher klinischer Charakteristika wie Art des Brustschmerzes, Alter und Geschlecht des Patienten nimmt eine zentrale Rolle für das weitere diagnostische Vorgehen ein. Neu wurde der Begriff der klinischen Wahrscheinlichkeit (KW) eingeführt und als Assessment bei symptomatischen Patienten mit einer «neuen» Vortestwahrscheinlichkeit (VTW) von 5–15% empfohlen. Als modifizierende Faktoren der VTW werden dabei zusätzlich berücksichtigt: kardivaskuläre Risikofaktoren (kv RF), EKG-Veränderungen, vaskuläre Erkrankung (PAVK, CVI/TIA), LV-Dysfunktion und Niereninsuffizienz.

Vortestwahrscheinlichkeiten (VTW) für das Vorliegen einer obstruktiven Koronaren Herzerkrankung

 

Tab. 1: Nach ESC Richtlinien CCS 2019

 


Abb 1: Nach ESC Richtlinien CCS 2019

 

Nicht-invasive Risiko­stratifizierung bei Koronarer Herzerkrankung (KHK)

Tab. 2: Treadmill Score = Ergometriezeit (Min.) – 5× ST-Streckensenkung (mm) – 4× AP-Index (keine AP = 0; nicht limitierende AP = 1; limitierende AP = 2)
Nach: ACCF/AHA Richtlinien Stable ischemic heart diesease 2012
Hohes Risiko (> 3% jährliches Mortalitätsrisiko)
  1. Schwer eingeschränkte systolische linksventrikuläre Funktion (LVEF < 35%)
  2. Hohes Risiko des Treadmill Score (Score ≤ – 11)
  3. Stress-induzierter, grosser Perfusionsdefekt (v.a. anterior)
  4. Grosser, fixierter Perfusionsdefekt mit einer linksventrikulären Dilatation oder erhöhter Lung Heart Ratio (LHR) in der Szintigrafie (als Zeichen der Lungenstauung)
  5. Stress-induzierter, moderater Perfusionsdefekt mit einer linksventrikulären Dilatation oder erhöhter Lung Heart Ratio (LHR) in der Szintigrafie
  6. Echokardiografisch dokumentierte Wandbewegungsstörung (> 2 Segmente) in der Low-Dose-Dobutamin-Stress-Echokardiografie (< 10 mg/kg/min) oder bei einer tiefen Herzfrequenz (< 120/Min.)
  7. Dokumentation eines grossen Ischämieareals in der ergometrischen und/oder Dobutamin-Stress-Echokardiografie
Intermediäres Risiko (1–3% jährliches Mortalitätsrisiko)
  1. Leicht bis mittelschwer eingeschränkte systolische linksventrikuläre Funktion (LVEF = 35% bis 49%)
  2. Intermediäres Risiko des Treadmill Score (– 10 bis + 4)
  3. Stress-induzierter, moderater Perfusionsdefekt ohne linksventrikuläre Dilatation oder erhöhte Lung Heart Ratio (LHR) in der Szintigrafie
  4. Limitierter Nachweis einer Ischämie in der Stress-Echokardiografie mit induzierbaren Wandbewegungsstörungen nur bei hoher ergometrischer Belastung oder Dobutamindosis in zwei oder weniger Wandsegmenten
Niedriges Risiko (< 1% jährliches Mortalitätsrisiko)
  1. Niedriges Risiko des Treadmill Score (Score ≥ 5)
  2. Normale myokardiale Perfusion oder umschriebener myokardialer Perfusionsdefekt in Ruhe oder unter Belastung
  3. Normale Stress-Echokardiografie oder nur minimale Wandbewegungs­störungen unter Belastung

Vergleich der nicht-invasiven Untersuchungen: Diagnostische Genauigkeit, Limitationen, Vor- und Nachteile

Tab. 3: PM = Schrittmacher; NI = Niereninsuffizienz; KM = Kontrastmitttel; *im Vergleich mit dem Referenzstandard invasive Diagnostik; **Hybridbildgebung: Dieses Verfahren ermöglicht die Kombination von anatomischer/morphologischer und funktioneller Bildgebung, z.B. als Koronar-CT + SPECT oder PET.
Nach: ESC Richtlinien CCS 2019 und Management der stabilen Koronaren Herzerkrankung 2013

Indikationen und Limiten der nicht-invasiven Untersuchungen

Fahrrad-Ergometrie

Möglichkeiten

  • Ischämienachweis bei einer aussagekräftigen Ergometrie, d.h. bei genügender körperlicher Belastungsfähigkeit, bei Doppelprodukt > 25’000 (HFmax × BDsystmax)

Indikationen

  • Erstuntersuchung bei Verdacht auf KHK
  • Aufgrund der, im Vergleich zu anderen Tests, geringeren diagnostischen Aussagekraft wurde das Belastungs-EKG zur Diagnose einer KHK abgewertet und sollte als initialer Ischämietest noch bei einer VTW von 15–30% eingesetzt werden
  • In den ESC-Richtlinien CCS 2019 werden zur Primärdiagnostik nicht-invasive bildgebende Tests empfohlen (I B), das Belastungs-EKG für diese Indikation nur noch mit einer IIb B-Empfehlung, wenn diese nicht verfügbar sind
  • Im Management von KHK-Patienten wird das Belastungs-EKG zur Bestimmung der Belastungskapazität als stärkster Prädiktor für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse und Risikoabschätzung empfohlen (I C).
  • Bekannte KHK unter Therapie zur Beurteilung der Symptom- und Ischämiekontrolle (IIb C)

Limiten respektive fehlende Aussagekraft

  • 1 mm ST-Streckensenkung in Ruhe
  • WPW, Linksschenkelblock (LSB), Schrittmacher-Rhythmus
  • Digoxin-Therapie

Stress-Echokardiografie

Technik

Mittels einer ergometrischen oder pharmakologischen Belastung kann die Kontraktilität des linken Ventrikels visualisiert werden. Nimmt die Kontraktilität in einem oder mehreren koronaren Versorgungsgebieten ab, entspricht dies einem indirekten Ischämienachweis und erlaubt Rückschlüsse auf die Lokalisation der koronaren Herzkrankheit (Stenosen).

Indikationen

  • Nicht-konklusive Ergometrie (z.B. geringes Doppelprodukt, vorbestehende EKG-Veränderungen)
  • Ischämienachweis bei limitierter körperlicher Belastbarkeit
  • Präoperative Risikostratifizierung bei nicht-herzchirurgischen Hochrisiko-Operationen
  • Viabilitätsnachweis vor evtl. Revaskularisation

Limiten

  • Ungenügende Echoqualität (COPD, adipöser Patient)
  • Kontraindikationen gegen Dobutamin

Kardiale Magnetresonanztomografie mit Belastung (Stress-MRI)

Technik

Die kardiale Magnetresonanztomografie generiert Schichtaufnahmen des Herzens mithilfe starker Magnetfelder und Radiowellen.

Im Gegensatz zur Computertomografie wird im MRI keine Röntgenstrahlung oder andere ionisierende Strahlung erzeugt oder genutzt.

Die MRI eignet sich besonders zur Darstellung von Struktur und Funktion des Herzens und erlaubt nach intravenöser Kontrastmittelapplikation sowohl die Beurteilung der Koronarperfusion (Ruhe/Belastung) als auch die Identifizierung und Quantifizierung von infarziertem Myokard.

Möglichkeiten

  • Links- und rechtsventrikuläre Funktionsdiagnostik (Gold-Standard)
  • Myokard-Diagnostik (Viabilität, Entzündung, Myopathie)
  • Stress-MRI: Ischämiediagnostik (Regadenoson, Adenosin, Dobutamin)
  • Darstellung von Klappenfunktion und -morphologie (Flussmessungen)
  • Gefässdarstellung (z.B. vor Pulmonalvenenisolation, fehlmündende Pulmonalvenen, Aortenstenosen)
  • Perikarddiagnostik

Indikationen

  • Identifikation des Ausmasses von infarziertem Myokard durch Anreicherung des Kontrastmittels Gadolinium in der Spätphase (Late Gadolinium Enhancement – LGE) zur Indikationsstellung einer eventuellen Revaskularisation nach einem Myokardinfarkt (Viabilitätsnachweis).
  • Ischämiediagnostik
  • Vitalitätsdiagnostik vor allfälliger Intervention/Bypass-Operation
  • Komplexe kongenitale Vitien
  • Entzündliche oder metabolische Herzmuskelerkrankungen
  • Tumore

Limite

  • Herzschrittmacher- und ICD-Träger (abhängig vom Modell)
  • Mechanische Herzklappen, die vor 1980 implantiert wurden
  • Herzrhythmusstörungen (Triggerprobleme)

Myokardperfusionsszintigrafie (MPS): SPECT und PET

Technik

Die Myokardperfusionsszintigrafie (Tc-99m-MIBI-SPECT oder Perfusions-PET z.B. mit Rubidium-82) erlaubt die Beurteilung der funktionellen Perfusion in Ruhe und unter Belastung und somit die Diagnose von Ischämien und Mykardnarben. Die Perfusionsdefekte werden semiquantitativ ausgewertet (gescored) und der Summed Difference Score (SDS) berechnet, was eine Risikostratifizierung erlaubt. Ausserdem kann mittels EKG-Triggerung eine Aussage zur Motilität sowie zu den Funktionswerten (ESV, EDV und LVEF) gemacht werden. Ergänzt wird die Untersuchung durch die Bestimmung der koronaren Kalklast (Agatston-Score), was eine weitere Risikostratifizierung erlaubt. Die Untersuchung wird als Hybridbildgebung mit einem CT durchgefüht, so dass anatomische/morphologische und funktionelle Bildgebung kombiniert werden. Bei normaler Perfusion unter Belastung sind kardiale Ereignisse wie Myokardinfarkt und Tod selten. Die Fluorodeoxyglucose-Positronen-Emissions-Tomografie (FDG-PET) ermöglicht in ausgewählten Fällen eine validierte Aussage über die Gewebeviabilität vor einer eventuellen Revaskularisation.

Indikationen

  • Ischämiediagnostik (z.B. bei nicht-konklusiver Ergometrie)
  • Risikostratifizierung (z.B. präoperativ)
  • Beurteilung der funktionellen Relevanz bei bekannten Koronarstenosen

Koronar-CT-Angiografie (Herz-CT)

Technik

Mit EKG-gesteuerter Zeitauflösung erreichen moderne Multislice-Computertomografen eine hohe örtliche Auflösung. Die Strahlenbelastung der Koronar-CT-Angiografie beträgt mit der modernen Technik ca. 0.5–5 mSv. Die Bestimmung der koronaren Kalklast erfolgt in einer nativen Niedrigdosis-CT von 0.2 mSv entsprechend dem Calcium-Score (Agatston-Score). Mit einmaliger Kontrastmittelgabe werden anschliessend der Koronarbaum und die intra-/extrakardiale Morphologie dargestellt sowie die linksventrikuläre Funktion berechnet.

Die Untersuchungsdauer beträgt etwa 15 Min.

Möglichkeiten

  • Ausschluss einer KHK bei tiefer/intermediärer Vortestwahrscheinlichkeit bis circa 15 % gemäss Tab. 1
  • Beurteilung von Koronaranomalien
  • Komplexe, angeborene Fehlbildungen
  • Calcium-Scoring zur Bestimmung der koronaren Kalklast
  • Der Calcium-Score quantifiziert die Menge an Verkalkung in den Koronararterien (Agatston-Score) und korreliert mit der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer KHK (keine Aussage über Schweregrad der KHK, reine Risikostratifizierung/Messung der Kalklast). Das Problem der Messung liegt in der tiefen Spezifität für den Nachweis einer KHK, verglichen mit der Koronarangiografie. Eine in der CT nachgewiesene Verkalkung bei älteren Patienten erlaubt keine Aussage über eine Durchblutungsstörung (verkalktes Gefäss ohne hämodynamisch relevante Stenose.

Indikationen

  • Bei einem selektionierten Patientengut (entsprechend Tab. 3)
  • Präoperative Bildgebung der Koronarien vor valvulärer oder vitien-korrigierender Herzoperation
  • Verdacht auf Koronaranomalie

Nicht indiziert

  • Bei Hochrisikopatienten gemäss AGLA-Score und/oder hoher Vortestwahrscheinlichkeit gemäss Tab. 1
  • Zur Verlaufsbeurteilung einer KHK
  • Bei bestehenden komplexen Herzrhythmusstörungen

Quellen/Links

 

Dr. Lucas Jörg
Prof. Dr. Dr. Flavio Forrer
Dr. Olaf Chan-Hi Kim
Prof. Dr. Sebastian Leschka
Prof. Dr. Hans Rickli

Lizenz

Kardiovaskuläres Manual 2021 aktuell Copyright © 2021 Kantonsspital St.Gallen. Alle Rechte vorbehalten.

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