Psychokardiologie
Einleitung
Die Psychokardiologie ist eine Spezialdisziplin, die sich mit den wechselseitigen Zusammenhängen von psychischen Aspekten und Herzerkrankungen beschäftigt. Psychosoziale Variablen haben einen evidenzbasierten modulierenden Einfluss auf den weiteren Krankheitsverlauf koronarer Herzerkrankungen (Lebensqualität, Morbidität, Mortalität etc.)
Praxisrelevante Hinweise für den kardiologischen Alltag: Wer braucht psychokardiologische Unterstützung
Angst, Depressivität, negative Affekte
- Besteht eine erhöhte, subjektiv berichtet oder objektiv wahrnehmbare Ängstlichkeit?
- Kam der Patient wiederholt auf den Notfall ohne neuen Befund?
- Ist eine vorbestehende Depression diagnostiziert oder können depressive Symptome wahrgenommen werden?
- Bestehen Suizidgedanken, ein negativer Blick in die Zukunft?
- Ist der Patient weinerlich, lustlos, mutlos, pessimistisch und/oder besteht eine erhöhte Reizbarkeit?
- Bestehen Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit oder -Schläfrigkeit?
Schlafstörungen können im Rahmen eines depressiven Zustandes auch als Begleitsymptom oder Folge einer Koronarerkrankung auftreten. Sie stellen einen Stressor dar, Affektlabilität ist eine häufige Folge sowie ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von affektiven Störungen und Herzkreislauferkrankungen. Depressivität und Angst können nach Beginn einer koronaren Herzerkrankung häufig auftreten und ohne spezifische Behandlung persistieren und sich zu klinisch manifesten Erkrankungen entwickeln. Dabei ist nicht nur die Lebensqualität beeinträchtigt, sondern es resultiert auch eine schlechte Prognose. In manchen Fällen kann eine psychopharmakologische Behandlung mit einem schlafmodulierenden oder antriebsteigerendem (je nach Indikation) Antidepressivum entlasten und eine manifeste Folgeerkrankung verhindern.
Stress und Belastung
- Berichtet der Patient von einer subjektiv wahrgenommenen, meist chronisch dauerhaften beruflichen oder/und privaten – meist konfliktbehafteten – Höchstbelastung?
Wichtig: Speziell gefährdet sind Patienten mit mehreren Risikofaktoren und fehlenden protektiven Faktoren (Freizeit, Sport, glückliche Paarbeziehung, Hobbys etc.).
Vitale Erschöpfung
- Berichtet der Patient oder Hausarzt von vorbestehenden (meist 6 Monate vor Eintritt eines Infarkts) Symptomen einer schweren Erschöpfung und/oder depressiven Episoden, die die Betroffenen zu ihrem Arzt führten?
Krankheitsverarbeitung (Coping-Mechanismen)
- Ist der Patient gegenüber Veränderungen negativ eingestellt?
- Kann eine pessimistische Haltung gegenüber der Zukunft und der Einnahme möglicher Medikamente wahrgenommen werden?
- Entsteht subjektiv und/oder auch objektiv berichtet der Eindruck, der Patient wird die Empfehlungen der Ärzte nicht umsetzen?
- Möchte der Patient zu viel auf einmal verändern und besteht die Gefahr der Überbelastung?
- Fehlen dem Patienten realistische, gestaffelte Ziele zur Verarbeitung?
- Sind allgemein mangelnde Ressourcen wahrnehmbar?
Eine optimistische und aktiv gestaltende Haltung hat günstige Effekte, wobei diese abhängig ist von einer guten Informiertheit über die Krankheit und die erforderlichen Lebensstilveränderungen. Eine negative Haltung mit einem pessimistischen Blick in die Zukunft resultiert dafür oft in einer mangelnden Compliance.
Familiärer und sozialer Rückhalt
- Fehlt ein gutes soziales Netzwerk?
- Hat der Patient keine Angehörigen, die für ihn sorgen und ihn besuchen kommen?
- Droht der Verlust des Arbeitsplatzes und/oder der sozialen Unterbringung?
Gute familiäre Unterstützung und Rückhalt in einem grossen sozialen Netzwerk beeinflussen die Krankheitsverarbeitung, die Affektlage und den Krankheitsverlauf günstig. Umgekehrt ist nachgewiesen, dass mangelnder Rückhalt und ein Rückzug aus sozialen Beziehungen (soziale Inhibition) spürbar negative Folgen haben.
Schichtzugehörigkeit
- Kommt der Patient aus einer niedrigen sozialen Schicht?
- Besteht eine schlechte Schulbildung, keine/schlechte Berufsausbildung, wenig Einkommen oder soziale Unterstützung?
Je niedriger die soziale Schicht, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit einer koronaren Herzerkrankung. Diese Aussage gilt nicht allein deshalb, weil man in dieser Schicht mehr raucht, sich ungesünder ernährt, sich weniger bewegt etc. Der inverse Zusammenhang bleibt gültig auch bei Kontrolle all dieser Variablen. Da ärztliches Handeln keinen Einfluss auf diese Lebensbereiche hat, kann nur die vorsorgende Betreuung und Achtsamkeit verstärkt werden.
Aufgrund der multiplen Einflussfaktoren muss ein niederschwelliger Einbezug der Psychokardiologie (am besten schon stationär) das Ziel einer optimalen interdisziplinären Zusammenarbeit sein, um Risikofaktoren schnell und effektiv behandeln und so einen langfristig erfolgreichen Krankheitsverlauf gewährleisten zu können.
Sina Rüdt, M.Sc
Dr. Dagmar Schmid