Diabetes mellitus
Definition
- Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, die durch eine Hyperglykämie charakterisiert sind.
- Die chronische Hyperglykämie führt zu Langzeitschäden, Funktionsstörungen des Körpers und Versagen von Organen; insbesondere an Augen, Nieren, Füssen, Herz und Gefässen.
Diagnose und Klassifikation
Diagnostische Richtwerte
Nüchtern-Plasmaglukose | Oraler Glukosetoleranztest 2-Std.-Wert | HbA1c | |
Normal | < 5.6 mmol/l | < 7.8 mmol/l | < 5.7% |
Gestörte Nüchtern-Glukose | ≥ 5.6 und
< 7.0 mmol/l |
— | — |
Verminderte Glukosetoleranz | — | ≥ 7.8 und
< 11.1 mmol/l |
— |
Diabetes mellitus | ≥ 7.0 mmol/l | ≥ 11.1 mmol/l | ≥ 6.5% |
Kriterien für die Diagnose eines Diabetes mellitus
- Plasmaglukose (venös) zu einem beliebigen Zeitpunkt ≥ 11.1 mmol/l und klinische Symptome oder
- Nüchtern-Plasmaglukose (venös) ≥ 7.0 mmol/l oder
- Plasmaglukose (venös) 2 Stunden nach oGTT (75 g Glukose po) ≥ 11.1 mmol/l oder
- HbA1c ≥ 6.5%
Wichtig
Bestätigung des pathologischen Resultates durch einen weiteren anderen Test in der gleichen Blutentnahme oder an einem anderen Tag. Ein erhöhter HbA1c-Wert soll durch die Bestimmung eines Nüchtern-Plasmaglukose-Wertes oder mittels oGTT überprüft werden. Bestimmungen sind mit Laborgeräten auszuführen (i.d.R. venöse Blutentnahme).
Messungen mit Blutzucker-Selbstmessgeräten sind für die Diagnose unzulässig! Methode zur HbA1c-Bestimmung muss NGSP-zertifiziert und gemäss dem DCCT-Assay standardisiert sein.
Klassifikation des Diabetes mellitus
- Diabetes mellitus Typ 1 (Pathogenese: autoimmun bedingte Beta-Zellzerstörung mit konsekutivem, absolutem Insulinmangel)
- Diabetes mellitus Typ 2 (Pathogenese: progredienter Insulinsekretionsdefekt und Insulinresistenz)
- Spezifische Diabetestypen
- Genetischer Defekt der Beta-Zellfunktion (z.B. Maturity Onset Diabetes of the Young [MODY]; mitochondrialer Diabetes)
- Genetischer Defekt in der Insulinwirkung (z.B. Typ-A-Insulinresistenz, Insulinrezeptordefekt, lipoatropher Diabetes)
- Erkrankungen des exokrinen Pankreas (z.B. Pankreatitis, Neoplasien, zystische Fibrose, Hämochromatose)
- Endokrinopathien (z.B. Akromegalie, Cushing-Syndrom, Phäochromozytom)
- Medikamenten-induziert (z.B. Steroide, Immunsuppressiva bei Transplantationen, antiretrovirale Therapie)
- Infektionen (z.B. kongenitale Röteln, Masern, Coxsackievirus, Cytomegalievirus)
- Seltene Formen von immunogenem Diabetes (z.B. Stiff-Man-Syndrom, Anti-Insulinrezeptor-Antikörper)
- Andere genetische Syndrome, die mit Diabetes assoziiert sind (z.B. Trisomie 21, Klinefelter-Syndrom, Turner-Syndrom, myotone Dystrophie)
- Gestationsdiabetes (Definition: während der Schwangerschaft diagnostizierter Diabetes)
Screening nach Diabetes mellitus Typ 2
Risiko-Bestimmung bei asymptomatischen Erwachsenen
Zum primären Screening bzw. zur Risiko-Bestimmung für Diabetes mellitus Typ 2 bei asymptomatischen Erwachsenen wird der folgende adaptierte FINDRISC-Fragebogen empfohlen (Onlineversion abrufbar unter www.diabetesgesellschaft.ch/diabetes/risikotest):
Therapieziele
Allgemeine Empfehlungen – Therapiegrundsätze
Eine anhaltend gute Blutzuckerkontrolle verhindert bzw. verzögert das Auftreten oder das Fortschreiten von Diabetes-assoziierten Spätkomplikationen. Die Therapie und die Therapieziele sollten immer individuell mit dem Patienten und dessen Umfeld besprochen und festgelegt werden. Insbesondere folgende Faktoren sollten beachtet werden:
- Diabetesdauer
- Alter des Patienten
- Co-Morbiditäten
- Lebenserwartung des Patienten
- Bekannte kardiovaskuläre oder mikrovaskuläre Erkrankung (insbesondere Niereninsuffizienz)
- Hypoglykämie-Risiko
- Schwangerschaft oder Schwangerschaftswunsch
Blutzuckersenkende Medikamente und deren Kombinationen sind primär auf der Grundlage des individuellen HbA1c-Wertes, vorhandener Kontraindikationen, dem Vorliegen einer kardiovaskulären Erkrankung (inklusive Herzinsuffizienz) oder einer Nephropathie auszuwählen. Ebenfalls sind spezifische Nebenwirkungen und Therapiekosten der blutzuckersenkenden Medikamente zu berücksichtigen (vgl. «Therapiewahl für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2» Tab. 4/5 Seite).
Glykämie-Zielwerte
Ein HbA1c-Wert > 8% zeigt generell einen Handlungsbedarf an und legt die Einleitung einer Therapie oder einen Therapiewechsel nahe. Bei Patienten mit geringem Hypoglykämie-Risiko und neu bzw. kürzlich diagnostiziertem Diabetes mellitus sollten HbA1c-Werte unter 6.5% angestrebt werden.
Bei älteren Patienten (> 70 Jahre) mit mehr als 10-jähriger Diabetesdauer, bekannten makrovaskulären Komplikationen, eingeschränkter Lebenserwartung und/oder vermehrter Hypoglykämie-Neigung sollte ein HbA1c-Wert zwischen 7% bis max. 8% angestrebt werden (siehe Tab. 2 «Therapeutische Richtwerte» und Abb. 2 «Individuelle Zielwerte»).
Therapeutische Richtwerte
Einstellung
gut |
Einstellung
akzeptabel |
Einstellung
ungenügend** Anpassung der Behandlung nötig |
|
Nüchtern-Glukose
Kapilläres Plasma |
5.0–7.0 mmol/l | 4.0–5.0 mmol/l bzw. 7.0–8.0 mmol/l | < 4.0 mmol/l bzw. > 8.0 mmol/l |
Postprandiale Glukose (2 Std. nach der Mahlzeit)
Kapilläres Plasma |
< 8.0 mmol/l | < 10.0 mmol/l | ≥ 10.0 mmol/l |
HbA1c* | 6.0–7.0%** | 7.1–7.9% | ≥ 8.0%*** |
Individuelle Therapieziele
Multifaktorielle Therapie sämtlicher Risikofaktoren
Bei Patienten mit einem Diabetes Typ 2 ist das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse im Vergleich zu Nicht-Diabetikern deutlich erhöht. Die aggressive Behandlung sämtlicher kardiovaskulärer Risikofaktoren kann schwere kardiovaskuläre Ereignisse um mehr als 50% reduzieren. Deshalb sollte bei diesen Patienten nicht nur eine optimale Blutzuckerkontrolle angestrebt, sondern es sollten sämtliche kardiovaskulären Risikofaktoren gemäss den unten stehenden Richtwerten behandelt werden:
Richtwerte | |
HbA1c
Individuelle Therapieziele gemäss Abbildung |
< 7.0%
7.0%–8.0% |
Blutdruck
Bei Proteinurie/jüngeren Patienten (< 65 Jahre) |
< 140/90 mmHg
< 130/80 mmHg |
LDL-Cholesterin Bei sehr hohem kardiovaskulären Risiko* Bei hohem kardiovaskulären Risiko** Bei moderatem kardiovaskulären Risiko*** |
< 1.4 mmol/l < 1.8 mmol/l < 2.5 mmol/l |
Nikotinstopp |
Therapiewahl für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2
Bei der Auswahl der medikamentösen Therapie empfiehlt sich ein pragmatisches Vorgehen mit den folgenden vier Fragen: |
1. Liegt eine Niereninsuffizienz vor, wenn ja, welcher Schweregrad?
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2. Liegt eine kardiovaskuläre Erkrankung vor?
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3. Besteht eine Herzinsuffizienz?
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4. Besteht ein Insulinmangel?
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Zusätzliche Fragen, die die Therapiewahl mitbeeinflussen können: |
1. Hyoglykämie-Risiko reduzieren:
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2. Gewichtsreduktion steht im Vordergrund:
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3. Kostengünstige Therapie:
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Prof. Dr. Michael Brändle, M.Sc.