Bauchaortenaneurysma (BAA)
Definition
Ein Aneurysma ist eine lokalisierte Erweiterung des Gefässdurchmessers auf das 1.5-fache der Norm oder mehr. Bei der Bauchaorta (Normdurchmesser 2.0 cm) spricht man deshalb ab einem Querdurchmesser von 3 cm von einem Bauchaortenaneurysma (BAA): 3.0–5.4 cm = «kleines BAA»; ≥ 5.5 cm = «grosses BAA». Beim «echten» Aneurysma sind alle Wandschichten des Gefässes ausgeweitet, beim «falschen» Aneurysma (spurium) sind die Innenschichten perforiert und die Ausweitung besteht bloss aus Adventitia (sog. Pseudoaneurysma: z.B. nach Gefässanastomosen, traumatisch, iatrogen [Punktion]).
Epidemiologie und Ätiologie
Die Inzidenz des BAA variiert mit Alter und Geschlecht. Männer sind 3–6 Mal häufiger betroffen. Die geschätzte Prävalenz bei 65-Jährigen liegt in der westlichen Welt bei 2–5% und steigt danach um ca. 6% pro Dekade. Insgesamt war die Inzidenz in den letzten Jahren etwas rückläufig.
BAA sind praktisch immer mit Atherosklerose assoziiert und entstehen durch eine Dysbalance zwischen Entzündungs-/Proteolyse- und Reparatur-Prozessen. BAA sind mit folgenden Faktoren assoziiert (odds ratio; 95% Konfidenzintervall): Nikotinkonsum (2.8; 2.5–3.1); pos. FA (erstgradig Verwandte; 2.0; 1.6–2.5); KHK (1.8; 1.7–2.0); Dyslipidämie (1.4; 1.3–1.5); arterielle Hypertonie (1.4; 1.3–1.5); Diabetes (0.7; 0.6–0.8, also ‹protektiv›!). Daneben werden inflammatorische (aseptische Wandentzündung) und mykotische (mit Wandinfekt) BAA unterschieden.
Das Rupturrisiko steigt exponentiell mit dem BAA-Querdurchmesser. Weitere Risikofaktoren für Ruptur sind Nikotinkonsum, weibliches Geschlecht, FA für Ruptur, arterielle Hypertonie und exzentrische Form des BAA. Im Gegensatz dazu ist die Längenausdehnung des BAAs für die Behandlungsindikation weniger relevant (wohl aber für die Behandlungsplanung). Das rupturierte BAA gehört im Westen bei Männern zu den 15 häufigsten Todesursachen, was Screening-Initiativen in Risikopopulationen (z.B. 65-jährige rauchende Männer mit arterieller Hypertonie) rechtfertigt.
Morphologie und Lokalisation
In unseren Breitengraden betreffen ca. 70% aller Aortenaneurysmen die Bauchaorta und beginnen fast immer unterhalb oder an den Nierenarterien. Knapp 25% sind thorakal gelegen; die restlichen involvieren den thorakoabdominalen Übergang. Das Poplitealaneurysma ist bei bis zu 10% der BAA syn- oder metachron assoziiert und sollte aktiv gesucht, bzw. ausgeschlossen werden.
Klinische Präsentation
- Die meisten BAA sind bis zur Ruptur asymptomatisch und wachsen unbemerkt
- Pulsierende indolente Masse im Abdomen, verbreiterte Pulse femoral/popliteal
- Entdeckt als Zufallsbefund bei bildgebender Untersuchung
- Bekannte Familienanamnese
- gezieltes Screening von Risikopopulationen (z.B. in UK/USA: Screening von 65-jährigen rauchenden Männern)
- Symptomatische BAA
- Rücken- oder Flankenschmerzen, auch auslösbar durch direkte Palpation des BAA
- Verdrängung der benachbarten Organe: z.B. Wurzelsymptome/Schmerzen durch WK-Arrosion
- Venöse Abflussstauung, Ureter-Abflussstauung (typisch beim inflammatorischen BAA)
- Fieber/Sepsis/Entzündungszeichen bei mykotischem BAA
- Selten: periphere arterio-arterielle Embolie (akute periphere Ischämie)
- Rupturierte BAA
- Plötzlich auftretende Flankenschmerzen mit Ausstrahlung inguinal (selten ins Abdomen), evtl. (Prä-)Synkope (als vasovagale Reaktion auf retroperitoneale Blutung; initial praktisch nie Blutungsschock!)
- Schmerzhafte pulsierende Masse im Abdomen
- Kreislaufparameter bleiben zunächst oft im Normbereich (retroperitoneale Tamponade): Cave «pseudo-stabile» Situation: time is life!
- Freie Ruptur in die Bauchhöhle: rapider Kreislaufzerfall, progredienter Blutungsschock
- Seltene Rupturformen: intestinale Fistel (1%: gastrointestinale Blutung, meist nach früherer Aortenprothese, immer Infekt); Cava-Fistel (1%: akute Rechtsherzinsuffizienz, Körperstammzyanose/Einflussstauung, auskultierbares Schwirren)
Diagnostik
- Anamnese (inklusive Allergien und Sexualanamnese); klinische Untersuchung (inklusive periphere Ausmessung, Pulsstatus)
- Duplexsonografie (Sensitivität/Spezifität > 90%): erste Wahl für Screening, Monitoring von kleinen BAA
- CT-Angiografie: Referenzstandard für Morphometrie zur konkreten Therapieplanung und bei V.a. Ruptur. Als Ausgangswert sollte immer die gesamte thorakoabdominale Aorta inkl. Iliakalachsen abgebildet werden, im Verlauf (z. B. post EVAR) nur noch das betroffene Gefässsegment.
- MR-Angiografie: bei Kontraindikation gegen CT: junge (Strahlenbelastung!) oder schwer niereninsuffiziente Patienten
- Cave: konventionelle Angiografie als Diagnostikum irreführend (stellt nur das durchflossene Lumen dar)
- Untersuchungen zur präoperativen Risikostratifizierung (Carotis-Duplex, Bestimmung der cardio-pulmo-renalen Leistungsreserven)
Behandlungsindikation
- Cave: Von allen BAA-Patienten stirbt letztlich nur ein Drittel an der Aneurysmaruptur, die meisten sterben an anderer (meist kardiovaskulärer!) Ursache. Das BAA gilt darum als Risikoäquivalent zur KHK: «optimal medical treatment» ist immer ein zentraler Behandlungspfeiler.
Aortenersatz bei asymptomatischem BAA: sobald Rupturrisiko das elektive Operationsrisiko übersteigt
- Kleine BAA < 4.0 cm: Rupturrisiko vernachlässigbar, Bildgebung alle 1–2 Jahre, medikamentöse kardiovaskuläre Sekundärprophylaxe
- Kleine BAA 4.0–5.4 cm: jährliche Expansion whs ca. 10%, jährliches Rupturrisiko bei knapp 1% (konsistent in mehreren RCT), Bildgebung alle 6 Monate (3 Monate, wenn > 5.0 cm), medikamentöse kardiovaskuläre Sekundärprophylaxe
- Grosse BAA ≥ 5.5 cm: deutlicher Anstieg des Rupturrisikos (bei 6.0–7.0 cm geschätzte 10–20%/Jahr), elektiver Aortenersatz zu erwägen je nach individuellem Nutzen-/Risiko-Verhältnis
- Erhöhtes Rupturrisiko: bei Frauen, raschem Wachstum (≥ 1.0 cm/Jahr), aktiven Rauchern mit COPD, unkontrollierter Hypertonie
- Cave: Bei langsamer Progression ist Beobachtung bis zu 5.5 cm Durchmesser (bei Durchschnittspatienten!) gleich sicher wie (aber kosteneffizienter als) der offene/endovaskuläre Aortenersatz (konsistente Erkenntnis in 2 grossen RCT: UK SAT und ADAM)
Symptomatisches BAA
- Nicht-inflammatorisch: dringliche Indikation (24–48 Std.) unabhängig vom Durchmesser, präop. Risikostratifizierung erwägen
- Inflammatorisch: vorbereitende Steroidtherapie je nach aktuellem Durchmesser manchmal gerechtfertigt
Rupturiertes BAA
- Absolute Notfallindikation (grundsätzlich unabhängig vom Alter)
- Ausnahmen: ausdrückliche Ablehnung/Patientenverfügung, prohibitive gesundheitliche Umstände (wie z.B. Demenz, unkontrolliertes Tumorleiden)
OP-Vorbereitung
Asymptomatisches BAA: hochelektiver Eingriff
- Schichtbildgebung (CT-Angiografie) zur konkreten Therapieplanung
- Risikostratifizierung internistisch und anästhesiologisch: ggf. kardiologisches und pneumologisches Konsil, Bestimmung der Nierenfunktion (GFR)
- Dokumentation präoperativer Gefässstatus
- ASS und Statine perioperativ weitergeben (nicht pausieren)
Symptomatisches BAA: dringlicher Eingriff
- Grosslumige Zugänge, notfallmässige anästhesiologische Beurteilung
- Notfallmässige CT-Angiografie (Rupturausschluss, Therapieplanung)
- Weitere Abklärungen je nach Zustand des Patienten
Rupturiertes BAA: absoluter Notfall (time is life)
- Ständige anästhesiologische Begleitung
- Hämodynamik: keine zeitraubende hämodynamische «Stabilisation» mittels Volumen/Katecholaminen, denn nur die rasche Blutungskontrolle rettet den Patienten
- «Normale» Blutdruckwerte (> 80-100 mmHg systolisch) sind bei ansprechbarem Patienten nicht erstrebenswert (assoziierter Blutungsdruck verhindert lebensrettende Tamponade, Volumen führt zu Verdünnungskoagulopathie und Auskühlung)
- Trotz Zeitdruck: wenn irgend möglich CT-Angiografie (Operationsplanung, Eignung EVAR?)
- Falls Bildgebung bereits extern: direkte Aufnahme des Patienten in OP-Vorbereitung
- Cave: keine Operation ohne Desinfektion/Abdeckung, keine heroische Laparotomie ausserhalb des OP
Künstlicher Aortenersatz
Die Rupturgefahr beim BAA kann nur mittels künstlichem Aortenersatz dauerhaft ausgeschaltet werden; eine medikamentöse Therapie zur BAA-«Schrumpfung» existiert aktuell nicht.
Offen-chirurgischer Aortenersatz mittels Kunststoff-Prothese
- Zugang: mediane (oder quere) Laparotomie, ggf. (retroperitoneale) Lumbotomie (je nach Aneurysmakonfiguration)
- Bei juxta-/suprarenaler Ausdehnung: suprarenale Aortenklemme (warme Nierenischämie!) nicht länger als 30 Min., andernfalls ggf. Nierenkälteperfusion
- Falls Iliakalachsen nicht betroffen: Rohrprothese (ca. 30%)
- Bei Y-Prothese (ca. 70%) distale Anschlüsse wenn möglich im Abdomen (femorale Anastomosen wegen Infektrisiko zu vermeiden). Wenn möglich Revaskularisation beider Aa. iliacae internae (Gesässclaudicatio)
- Erwartete perioperative Mortalität/Morbidität des offenen Aortenersatzes hängt von der Patientenselektion ab: bei theoretisch EVAR-geeigneten Patienten ca. 1% Mortalität, bei EVAR-ungeeigneten 1–3% Mortalität. Permanente Dialysepflicht < 1%. Neue Störung der Sexualfunktion (meist retrograde Ejakulation): 10–20%
Endovaskulärer Aortenersatz (EVAR) mittels Stentgraft-Prothese
- Kollaboration interventionelle Radiologie ⇔ Gefässchirurgie
- Gemeinsame Beurteilung der anatomischen Eignung der Zugangsgefässe und Verankerungszonen (gemäss instructions for use: 65–75% aller BAA geeignet)
- Kontrollierter chirurgischer Zugang auf Femoralgefässe («cut down») oder perkutaner Zugang je nach Set-up/Eignung der Gefässe
- Infrarenales Absetzen der Prothese unter radiologischer Kontrolle und Atemstillstand des Patienten, bei juxta-/suprarenaler BAA-Ausdehnung endovaskuläre Adjuncts (fenestrierte/gebranchte Prothesen, Zusatzleitungen für Chimneys oder Snorkels)
- Intraoperative Angiografie zum Ausschluss eines relevanten Endoleaks
- Erwartete perioperative Mortalität bei konventioneller EVAR < 1%, bei komplexer EVAR (mit adjuncts) 2–3%. Permanente Dialysepflicht ca. 1%. Neue Störung der Sexualfunktion (meist retrograde Ejakulation): 10–20%
- Cave: bei offen-chirurgisch inoperablen (d.h. zu kranken) Patienten bringt EVAR keinen sicheren Überlebensvorteil zur konservativen Therapie (EVAR trial 2)
Offen-chirurgische und EVAR-Patientenpopulationen sind meist nicht vergleichbar, da offen-chirurgische Patienten oft eine negativ selektionierte Anatomie repräsentieren und EVAR-Patienten eine negativ selektionierte Physiologie. Bei vergleichbaren Patienten zeigen praktisch alle randomisiert, kontrollierten Studien (RCT) konsistent einen perioperativen Überlebensvorteil für EVAR (kleineres Operationstrauma), aber eine höhere sekundäre Reinterventions- und Rupturrate (weniger nachhaltige Verankerung), so dass spätestens nach 2 Jahren die Behandlungsresultate beider Methoden vergleichbar sind inkl. Lebensqualität und Sexualfunktionsstörungen (EVAR 1, DREAM, ACE, OVER Trial). Nach 8–10 Jahren bietet der offene Aortenersatz einen Überlebensvorteil. Wichtigste Selektionskriterien für die geeignete Therapie sind die anatomische Eignung und die lokale Expertise. Bei einer Lebenserwartung von > 8–10 Jahren ist der offen-chirurgische Aortenersatz wenn möglich als nachhaltiger vorzuziehen.
Rupturiertes BAA
Schockmanagement und Dauer bis zur mechanischen Blutungskontrolle (Aortenballon oder -klemme) bestimmen die Überlebenschancen (und nicht die Wahl der Operationsmethode): bei vergleichbaren Patienten sind offener und endovaskulärer Aortenersatz im Notfall äquivalent (IMPROVE Trial).
- CT-Angiografie, verfügbares Material/Expertise entscheidend!
- Ist der Patient zu instabil für die Bildgebung, muss meist offen operiert werden (ggf. mit endovaskulärem Aortenokklusionsballon) und die Prognose wird deutlich schlechter.
- Cave: Bei langer Ballonokklusion der Aorta steigt die Gefahr der viszeralen Ischämie (mit sekundärer Mortalität).
- EVAR sollte im Notfall möglichst in lokaler Anästhesie (LA) durchgeführt werden, um die minimal-invasiven Vorteile zu nutzen.
- Cave: über die unversorgte Rupturstelle können nach EVAR Endoleaks zu abdominalem Compartment-Syndrom (mit hoher eigener Mortalität) führen (Blasendruck-Monitoring!).
- Die erwartete Operationsmortalität beim rupturierten BAA liegt bei optimiertem Management bei 15–25%.
Entlassungsmanagement
Der postoperative Gefäss-Status sollte inklusive arterieller Ausmessung vor Austritt dokumentiert werden, genauso wie die Nierenfunktion.
Offener Aortenersatz
- Entlassung um den 7. postop. Tag, Bauchgurt nur zu Mobilisation und nur bei subjektivem Benefit
- Kuraufenthalt oder Rehabilitation meist nicht erforderlich
- Bauchdeckenschonung für 6–8 Wochen (30% Inzidenz von Narbenhernien wegen assoziierter Bindegewebsschwäche)
- Chirurgische Kontrollen nach 3 Monaten und 1 Jahr, duplexsonographische Kontrollen der Anastomosenregionen alle 3–5 Jahre
- Aneurysmacheck weiterer Prädilektionsstellen
- Aneurysmascreening bei erstgradig Verwandten zu empfehlen
- Konsequente Eliminierung vaskulärer Risikofaktoren und medikamentöse Sekundärprophylaxe (Rauchstopp, Statin, ACE-Hemmer, Blutdruckkontrolle, ASS)
EVAR
- Entlassung am 3. bis 5. postoperativen Tag, volle Belastung möglich
- Keine duale Tc-Hemmung wegen der Stentgraftprothese
- Kuraufenthalt oder Rehabilitation meist nicht erforderlich
- Erste CT-Angiografie nach 4–6 Wochen zum Ausschluss eines Endolecks. Bei Endoleckage Monitoring nach Möglichkeit mittels contrast enhanced ultrasound (CEUS). Typ I und III EL müssen interventionell behoben werden, Typ II kann beobachtet werden, solange es nicht zu einem sekundären Wachstum des Aneurysmasacks kommt
- Patientenführung in der chirurgischen oder interventionellen Nachsorgesprechstunde (mindestens 1× jährlich)
- Aneurysmacheck weiterer Prädilektionsstellen
- Aneurysmascreening bei erstgradig Verwandten zu empfehlen
- Konsequente Eliminierung vaskulärer Risikofaktoren und medikamentöse Sekundärprophylaxe:Rauchstopp, Statin, ACE-Hemmer, Blutdruckkontrolle und ASS
Quelle/Link
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- Wanhainen A, Verzini F, Van Herzeele I, et al. Editor’s Choice – European Society for Vascular Surgery (ESVS) 2019 Clinical Practice Guidelines on the Management of Abdominal Aorto-iliac Artery Aneurysms. Eur J Vasc Endovasc Surg. 2019 Jan;57(1):8-93. https://doi.org/10.1016/j.ejvs.2018.09.020
Prof. Dr. Florian Dick
PD Dr. Lukas Hechelhammer
Dr. Alexander Poloczek